Bali in Alzey, Kino-Kindheitserinnerungen und ein alter Filmprojektor [aus der Region]


"Wir machen hier kein Geld, wir machen Kino!" (C. Hadenfeldt, Inhaber)

Stolz zeigt Herr Hadenfeldt interessierten Besuchern seinen alten Filmprojektor, den er bei der Übernahme des Bali-Kino Alzey am 12.12.2012 gerettet hat. Wir machen hier kein Geld, wir machen Kino. Und das machen wir für Sie! Mir geht das Herz auf. Ich stehe in der Pause des 3 Stunden langen Director's Cut von Amadeus im Vorführraum, fast ein wenig wehmütig. Es ist Sonntagmorgen, um 11:00 hat die Vorstellung begonnen. Im Foyer wurde jedem Besucher zur Begrüßung ein Glas Sekt gereicht, es gab Kaffee, Käsegebäck, Brezelchen und: Mozartkugeln! 

Mein erster Kinobesuch liegt in diesem Sommer 40 Jahre zurück. Während eines Familienurlaubs in Österreich sahen wir eine Wiederaufführung der Heidi-Verfilmung von 1968, Heidi kehrt heim und ich war im Anschluss noch sehr viele Jahre in Maximilian Schell verliebt. Ein oder zwei Urlaube später sah ich in einem Puschenkino in Tamarit, Spanien, Das Dschungelbuch, weil Arthur meinte, diesen wundervollen Film sollte seine ganze Familie sehen, und die Sprache würde einfach keine Rolle spielen. Wie recht er hatte! Was folgte, war meine große Liebe zum Kino, zu Filmen und eine sich später manifestierende Serien-Abhängigkeit. In meiner Jugend fuhr ich mittags in die nächste Stadt, begann mit der 1. Vorstellung um die Mittagszeit und hörte mit der letzten Abendvorstellung wieder auf. Jeder Platzanweiser begrüßte mich mit Handschlag, ich war mit allen Filmvorführern so! Sie nahmen mich mit in ihre Vorführräume, zeigten mir, wie die Filme geklebt wurden, wie Träume und Geschichten sich über Spulen ringelten und so manchen Film habe ich aus der kleinen Kammer durchs Winzfenster des Vorführraumes gesehen, eingenebelt vom Zigarettenrauch, eingeknistert vom Zelluloid. 

Noch heute habe ich eine große Sammlung von Kino-Eintrittskarten, auf der Rückseite handschriftlich versehen mit Datum und Filmtitel, meine erste lange Kino-Nacht erlebte ich mit 13 Jahren in Bochum, Kentucky Fried Movie, Blues Brohters und Ich glaub, mich tritt ein Pferd, Regie jeweils: John Landis. So etwas prägt und Blues Brothers habe ich bis heute knapp 200 mal gesehen, eigentlich könnte ich Blues Brothers spielen. Den ganzen Film, jede Rolle. 


Dann begann das große Kinosterben. Videotheken, Rauchverbot in Kinos aus Brandschutzgründen, bessere Technik, höhere Preise, durchgeknallte Studios. Den Rest erledigten die Multiplexe. Wenige Nischenkinos, Programmkinos, halten sich zum Glück bis heute; in München z. B. läuft seit dem 24. Juni 1977 ununterbrochen jede Woche in 2 Vorstellungen die Rocky Horror Picture Show. Letzte Woche wollten wir unbedingt Independence Day sehen, dass er nicht die Wucht sein würde, war mir nach all den mäßig guten Kritiken klar, aber ich stehe einfach darauf, wenn Roland Emmerich die Welt in Schutt und Asche legt. Das nächste Kino war das Cinestar in Mainz. Je_des_mal schimpfen wir, wenn wir da sind. Abgeranzt, runtergerutscht, zu wenig Personal und dieses oft unfreundlich, 2 Kassen von 10 geöffnet, lange Schlangen, stinkende Toiletten, die Liste ist lang. Der Preis für 2 Personen: € 32,50. € 14,00 je Karte, Aufschlag 3D, Aufschlag 3D-Brille, Parkticket. Wie soll sich das eine 5-köpfige Familie leisten frage ich den Mitarbeiter an der Kasse, an Arthur und unsere Familie denkend. Gar nicht antwortet er. Das kann sich niemand mehr leisten, fügt er traurig hinzu. Und verschwörerisch die Stimme senkend zumal es günstigere Multiplexe gibt als uns, aber das darf ich Ihnen gar nicht sagen

Ich frage, wie das Kino in Alzey überlebt. Herr Hadenfeldt erzählt mir, dass der Vorbesitzer mit 4000 verkauften Karten pro Jahr in die Pleite gerutscht ist. Er selbst hat bis Juli 2016 bereits 36000 Karten in diesem Jahr verkauft und das Bali Kino in Alzey zum besucherstärksten Ein-Leinwandkino in Deutschland gemacht. Wie das geht? Mit großer Leinwand, Kinosesseln, die jeden 5-Stundenfilm zum Vergnügen werden lassen und auch hiermit: 

Mit dem brandneuen Sound System VPT INTENSE (3D) präsentieren wir eine neue Technologie, die das Sound Erlebnis im Kino revolutionieren und Euch ab sofort bei jedem Kinobesuch mitten ins Kinogeschehen katapultieren wird!
Egal wo ihr im Saal sitzt, der 360° Digital Sound bietet in Verbindung mit neuen und zusätzlichen Lautsprechern, stärkeren Subwoofern und „virtuellen“ Surround Kanälen, den perfekten Hörgenuss auf jedem Platz.
Durch die Platzierung der speziell für Kinosäle entwickelten Line Array Lautsprecher Systeme und das Anbringen von wesentlich mehr Surround Lautsprechern als zuvor wird ein Raumklang erzeugt der einzigartig ist.
Wir sind stolz darauf deutschlandweit eins der ersten Kinos zu sein, das seinen Saal mit dieser revolutionären Technik ausgerüstet hat.
Hinzu kommt eine hervorragende Programmgestaltung. Die Neuheiten laufen fast alle und gleichberechtigt haben besondere Vorstellungen Platz, wie Amadeus im Director's Cut, der im Oktober startenden Reihe Kino & Vino, die Weinverkostungen und einen thematisch passenden Film bereithält, die Zusammenarbeit mit Schulen und Vereinen wie dem Netzwerk Demenz Alzey-Worms, in deren Rahmen am 22. September der bewegende, oscarprämierte Film Still Alice gezeigt wird. Für die älteren Schätze wie Amadeus, die eben nicht mit zig Terrabite auf Festplatten geliefert werden, sondern noch auf 35 mm laufen, steht der alte Filmprojektor bereit und er läuft und läuft und läuft. Und wie ein Kommentar bei den Googlebewertungen so schön lautet:

Dagegen kackt das CineStar in Mainz mal so richtig ab.
Ich hätte es nicht besser sagen können!

Der Eintritt zur Sonntagsmatinée mit Sekt, Kaffee und Mozartkugeln sowie einem gebührenfreien Parkplatz gleich vor der Tür: € 5,00, reguläre Vorstellungen kosten € 7,00, 3D Brillen werden ausgeliehen und am Ende der Vorstellung einfach wieder zurückgegeben. Und: Das Bali Kino in Alzey ist komplett werbefrei! 


So geht Kino!

Bali Kino Alzey
Bahnberg 10
55232 Alzey
Telefon: (0 67 31) 4 71 32 22

Empfehlenswerte Kinos in Mainz

Capitol & Palatin
CAPITOL
Neubrunnenstraße 9
55116 Mainz
Das kleine Kino (mit großem Saal) zeigt ein alternatives Programm, darunter ausgewählte Filme in Originalfassung oder als OmU.

PALATIN
Hintere Bleiche 6-8
55116 Mainz

Webseite für beide Kinos:


  Und was seht ihr euch als nächstes an? 

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Arthurs Tochter

Astrid Paul, die Autorin von Arthurs Tochter kocht., ist besessen vom Essen. Sie wacht manchmal nachts auf, weil ihr im Traum Essensdüfte durch die Nase ziehen. Dann steht sie auf und fängt an zu kochen. Oder zu schreiben. Vielleicht kocht sie auch nur, um darüber schreiben zu können, wer weiß das schon...

8 Kommentare :

  1. Heut ganz konform, ob egal oder nicht. Wenn jemand so herzerwärmend über Kino spricht, schmelz' ich dahin. Es ist wahr, Kino ist nicht gleich Kino. Einer der Punkte die ich neben der kulinarischen Abwechslung an Berlin besonders schätze, sind gerade seine vielen charmanten Programmkinos, die auch ohne Massenpublikumsfilme zeigen zu müssen, hier überleben können. Aufgewachsen in der Provinz, überlebte das Kino in meiner Heimatstadt (witzig am Rande: Kamenz die Partnerstadt von Alzey) in den Neunzigern leider nicht. Doch der Weg ins nächstgelegene Kino war uns nie zu weit, nie zu beschwerlich. Bis heute kann ich nicht davon lassen, einmal im Jahr gehören 10 Tage 30 Filme zur Berlinale fest zum Programm und auch im Urlaub (letzter Film textarm und bildreich Bourne im Warschauer Kulturhochhaus) geht es nicht ohne. Woran es wohl liegt? Das leichtere Eintauchen in fremde Geschichten in der behaglichen Dunkelheit? Das Bereisen fremder Länder, der Vergangenheit und der Zukunft ganz CO2 neutral? Ja, ich finde, ein bisschen Wahrheit ist wirklich drin in: ich kenn das Leben, bin im Kino gewesen. Das muss es wohl sein.

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    1. Was für ein schöner letzter Satz!
      Und ich beneide Dich sehr um die Möglichkeit des unkomplizierten Berlinale Besuches. In Wiesbaden gibt es jedes Jahr das Festival des osteuropäischen Films, da muss ich endlich mal wieder hingehen. So viele Filme und so wenig Zeit...

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  2. Anonym8/17/2016

    Kiiiino! Früher liebte ich Kino. Irgendwann begann man dort, Pappe mit Füßesoße aka Nachos mit Käsepampe zu verkaufen - da musste ich dann leider fernbleiben. Den Geruch ertrag ich noch nicht mal dann, wenn George Clooney im engen Latexanzug ins Batmobil steigt.

    Was ich ebenfalls schlecht aushalte, sind deutsche Synchronstimmen. Zum Glück gibt´s in Hamburg das Savoy. Da laufen die Filme im Original, die Sessel sind saubequem und zum Zurücklehnen (teilweise sogar mit Fußstützen, yiehaa), die Drinks gut und kalt und die Menschen freundlich. Achja. Pappe mit Füßepampe gibt´s da auch nicht. Zum Glück. Ich glaub, ich muss da mal wieder hin. Danke für die Inspiration!

    Schöne Grüße
    Conny

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    1. Pappe mit Füßepampe! Den Geruch bekomme ich heute nicht mehr aus der Nase, danke dafür! :p

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  3. Wie schön :) wir haben hier in Neustadt auch noch so ein nettes kleines Kino, das ist so viel schöner als die großen Dinger... allerdings, im Sommer zieht es mich da so gar nicht hin. Da gibt es hier aber Open Air Kino, das ich wiederum für dieses Jahr leider verpasst habe :D

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    1. oh ja, open air-Kino macht das Bali auch, das habe ich ganz vergessen zu erzählen. Ich war ein paar mal in Wiesbaden zum open air-Kino und je_des_mal gab es Idioten, die mit Laserpointern auf der Leinwand rumgespielt haben. Zum Kotzen!

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  4. Traumhaft! Wir haben hier zum Glück auch zwei kleine Kinos, die seit kurzem von einer jungen, ambitionierten Cineastin mit einem abwechslungsreichen & anspruchsvollen Programm bespielt werden. Jetzt müssen wir's aber auch nutzen! :)

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    1. Ja, unbedingt unterstüzten und hingehen! :)
      Wir sind am Freitag wieder im Bali und schauen uns den neuen Star Trek an. Ich freue mich schon auf den fetten Sound!

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