Auch heute habe ich die große Ehre, eine Rezension von Gabriele Gugetzer veröffentlichen zu dürfen! Sie hat für mich die 3. jteb-Woche eröffnet und schließt sie mit einer Liebeserklärung an Judy Rodgers ab. Vielen Dank, liebe Frau Gugetzer, dass Sie mir und allen Leserinnen und Lesern von jteb die Ehre gegeben haben!
The Zuni Café Cookbook von Judy Rodgers
Lange Zeit schämte ich mich ein bißchen für mein Interesse am Kochen. Immerhin hatte ich nach einem relativ hohen Arbeitseinsatz (mir fällt nur das Faulsein in den Schoss) einen amerikanischen Studienabschluss unter dem Gürtel, da ließe sich wahrhaft über Wichtigeres schreiben als über die Tatsache, dass Bratkartoffeln in Gänseschmalz einfach am besten schmecken, was man im Südwesten Frankreichs selbstverständlich weiß und meine Oma in Niederbayern wusste es auch und sonst scheinbar niemand. Gripstechnisch hätte ich es schaffen können, halbwegs lesbar über die Expatriates in Paris zu promovieren oder, bewaffnet mit Kenntnissen in Soziologie und Oral History und einer typisch deutschen Liebe zu Indianern, die Rolle der Frau im Reservat zu analysieren oder alternativ mal bei Amnesty International vorzusprechen...
Aber irgendwie war es das alles nicht, und ich schämte mich.
Bis zu dem Tag, als ich im leicht verstaubten und damit typisch Londoner Laden Books for Cooks dieses Kochbuch in die Hand gedrückt bekam. Kiloschwer und fest gebunden, ließe sich damit problemlos ein erfolgreicher Mord begehen; der Kommissar würde die Mordwaffe nie im Buchregal vermuten. Der Schutzumschlag zeigte Nektarinen, frische Mandeln und Prosciutto, fotografiert in diesem rustikalen Stil, der Ende der 1990er-Jahre populär wurde. Die Autorin Judy Rodgers, so las ich, hatte als rotzlöffeliger Teenager das Riesenglück, als Austauschschülerin bei den Gebrüder Troisgros (ja, denen) zu landen. Danach studierte sie noch anstandshalber Kunstgeschichte in Stanford, ging nach dem Uni-Abschluss aber stantepede in die Lehre bei Alice Waters, deren Restaurant Chez Panisse in San Francisco die Foodrevolution in Kalifornien ein bißchen mit einläuten half. Ebenfalls in San Francisco stand seit 1987 ihr Restaurant, das Zuni Café.
Der Rest ist Geschichte, jedenfalls kennen sie in Amerika viele Leute oder sollte ich sagen, kannten sie, weil sie Ende 2013 mit 57 Jahren an Krebs starb.
Was liebe ich an ihrem Kochbuch? Schon mal die Tatsache, dass es gar keines ist, sondern ein Lesebuch. Es ist unpraktisch. Die Rezepte laufen über diverse Seiten. Die Zutatenliste ist auch nicht gerade übersichtlich gelayoutet. Die Einleitung zum jeweiligen Rezept ist eine durchaus irritierende Mischung aus oberlehrerhaft und baumelig, wie wir in Hamburg sagen, wenn jemand die Uhr nicht lesen kann und baumelig um 16 Uhr kommt, was dann alles Mögliche meinen kann. Auf über 550 Seiten hat sie sich ausgemährt, und Rezeptfotos gibt’s höchstens eine Hand voll.
Scheinbar, so entdeckte ich an diesem Apriltag, konnte Kochen mehr sein als eine Ansammlung von Rezepten, jedes davon ausgeleuchtet bis in den letzten Winkel, damit bloß nix schief geht. Das beeindruckte mich schon beim ersten Durchblättern ungemein. Wie auch das schöne beigefarbene Papier. Die Liebe zu Fonts und dem Kaufmanns-Und, das auf Englisch so ansprechend Ampersand heißt. Der 25-seitige Index. Die seltsamen Kapitel, beispielsweise „The practise of salting early“, das über fünf Seiten läuft.
Dabei war Judy Rodgers mitnichten ein Küchenpionier, wie wir das mittlerweile kennen. Sie stellte nur den Geschmack ein bißchen neu ein. Ihre Küchentechnik war französisch, die Ausrichtung amerikanisch, denn dort lebte sie. Brathähnchen, ja, Hamburger, ja, Caesar Salad, ja. Aber auch ein Friséesalat mit getrüffeltem pochiertem Ei, in Schweineschmalz gekrossten Croûtons und gebackenen Rosinen. Von den Troisgros-Brüdern lernte sie das Carpaccio mit Bratkartoffeln und Trüffeln. Aus der Hippieküche vier Zubereitungsarten für Grünkohl – nö, damals war Grünkohl noch kein Superfood für den Smoothie. Aus Italien das Risotto, das sie mit Wildreis verfeinert, von ebenda die Gnocchi, die bei ihr sechs Seiten Text erfordern, von ihrer Küchenchefin Martha schwäbische Spätzle, die tagsüber tellerweise verdrückt wurden („und für Abends nahm ich mir dann noch welche mit nach Hause“).
Diese Mischung aus unterschiedlichen Länderküchen und der Kultur um sie herum ist für mich das, was amerikanische Küche ausmacht, und als studierte Amerikanistin konnte ich nun endlich mal Kochen und Hörsaal. Dass Kochen und Essen und die Liebe zu Produkten ernstzunehmende Themen sind, das hat sie mich gelehrt. Die Leidenschaft, mit der sie Wissen weitergab und geschmackliche Strenge einforderte, fand ich toll. Und alles alles so schön lesbar.
Seit April 2003 steht das Buch in meinen Handregal direkt über dem Rechner. Ich nehme es sicherlich einmal am Tag in die Hand. Gekocht habe ich daraus übrigens nie.
RIP Judy Rodgers.
Wow. Was für ein einzigartiges Buch und eine wundervoll geschriebene Rezension. Vielen Dank :)
AntwortenLöschenSolche Lesekochbücher liebe ich auch! Was für eine wunderschöne Liebeserklärung an das Buch. Danke dafür.
AntwortenLöschen